HII – Zweiundvierzig

 

Teil 1 der Geschichte gibt es hier nachzulesen, Teil 2 hier, Teil 3 hier und Teil 4 hier.

 

Mit einem immer noch brummenden Kopf macht er sich auf den Weg nach Hause. Dort angekommen, schliesst er seine Wohnungstüre mit dem Schlüssel auf, die für einmal nicht schon offen steht. Er legt sich ins Bett und schläft sofort ein. Zwölf Stunden später wacht er auf und schaut auf seinen Wecker: 07:00 Uhr. Zeit ins Büro zu gehen. Auf dem Weg schaut er noch beim Marronistand vorbei, wo er am Vortag den Mann mit Glatze und roter Krawatte gesehen hat. Doch die Läden des Standes sind geschlossen.

Wie an einem normalen Arbeitstag sagt er ein, zwei Leuten im Büro «Hallo!», anderen läuft er ohne Gruss vorbei. Niemand spricht ihn dabei auf seine gestrige Abwesenheit an. Warum sollten sie auch. Bei seiner Arbeit hat er manchmal das Gefühl, einer von 200 anderen Einzelkämpfern zu sein. Da könnte sogar jemand sterben, ohne dass es jemand bemerkt. An seinem Arbeitsplatz angekommen, stellt er seinen Schreibtisch in den Stehmodus. Vor zwei Wochen erhielt er diesen neuen höhenverstellbaren Schreibtisch und seither hat er sich vorgenommen, jeden Tag mindestens zwei Stunden im Stehen zu arbeiten. Heute will er dieses Ziel gleich zu Beginn erreichen. Das kann er dann auf seiner Smartphone-App eingeben und erhält Punkte dafür. Im besten Fall kann er anschliessend bei seiner Krankenkasse eine Prämienreduktion von 2.- im Monat verlangen. Das wären über das ganze Jahr gesehen immerhin 24.-, was wiederum genügend Geld ist um eine CD zu kaufen. Und dann gibt es natürlich noch den positiven Nebeneffekt des verbesserten Stehvermögens. Eigentlich also eine Win-Win-Situation für alle.

Er drückt auf den Power-Button des Laptops, kramt seinen schon einmal abhanden gekommenen Memory-Stick aus der blauen Jackentasche und steckt diesen in den dafür vorgesehenen USB-Port. Verrückt denkt er sich, eigentlich habe ich schon fast eine emotionale Bindung zu diesem kleinen, blau leuchtenden Utensil entwickelt. Ob das psychologisch gesehen schon als Objektophilie gilt?

Bevor er sein Passwort eingibt, zieht er die Liste mit den auszudruckenden Dokumenten aus seiner Tasche, die er im Kellergewölbe vom Mann mit dem russischen Akzent erhalten hatte. Er war nach reiflicher Überlegung zum Schluss gekommen, dass er die Forderung erfüllen wird. Dies auch deshalb, weil die geforderten Dokumente zwar als geheim klassifiziert waren, er deren Inhalt aber nicht als allzu sensibel empfand. Etwa so, wie wenn er das Trennungsgespräch von Helene Fischer und Florian Silbereisen auf Tonband hätte. Das wäre dann wohl als geheim einzustufen aber um als sensible Information zu gelten, wäre ihm das dann doch nicht genug.

Er wendet sich wieder dem Laptop zu und gibt sein Passwort ein. Zu Beginn läuft alles gut. Wie immer öffnet er seine Mailbox, die Dokverwaltung und den Firefox-Browser. Dann plötzlich wird der Bildschirm schwarz. Mit jeder erdenklichen Tastenkombination versucht er den Bildschirm wieder herzustellen. Er drückt den Power-Knopf. Nichts geschieht. Er zieht das Netzkabel. Nichts geschieht. Was für eine blöde Idee, denkt er sich gleich danach. Der Laptop hat ja einen integrierten Akku. Seine Hand bewegt sich schon zum Telefon, um dem Helpdesk anzurufen, als eine dreckig lachende Fratze auf dem Bildschirm erscheint. Es ist das Gesicht vom Mann im Marronistand!

 

 

Da fällt es im wie Schuppen von den Augen. Die wollten gar nicht, dass er die aufgelisteten Dokumente ausdruckt, sondern die hatten es von Anfang an auf seinen Computerzugang abgesehen. Blitzschnell zieht er den Memory-Stick aus dem USB-Port, doch die Fratze lacht ihm weiterhin vom Bildschirm entgegen. Er schaut sich den Memory-Stick genauer an und erkennt sofort die kleinen Unterschiede zum im Haus eigentlich gebräuchlichen Modell. Sein Puls schnellt hoch, Schweissperlen bilden sich auf seiner Stirn und seine Hände beginnen zu zittern. Er löst den Laptop mit der lachenden Fratze von der Docking-Station, wirft ihn auf den Boden, packt die Bürolampe und beginnt auf den Bildschirm einzuschlagen. Die Funken sprühen, wie wenn sich sein Unihockeycoach wieder einmal in Pyrotechnik versucht. In Panik packt er den am Boden liegenden Laptop und zerstört diesen definitiv, indem er ihn mehrmals über die Tischkante abschlägt. Ausser Atem fällt er auf den Boden. Kurze Zeit später stehen sein Chef und circa 10 Gaffer im Büro und schauen sich das Werk der Zerstörung an. Der Chef schickt alle aus dem Büro. Am Boden sitzend, beginnt er ihm die ganze Geschichte zu erzählen. Von Tallinn über Strassburg bis nach Bern. Details lässt er keine aus. 60 Minuten später steht er ohne Job auf der Strasse.

Voltaire sagte einmal, die Zeit heile alle Wunden. Im blauen Mantel, bei offenem Fenster, eine Zigarette rauchend, am Küchentisch sitzend, fragt er sich, was wohl Voltaires Vorstellung von Zeit in diesem Zusammenhang war. Kann Zeit auch unendlich sein? Überhaupt, ist Zeit nicht einfach eine banale Erfindung der Menschheit? Wenn er nicht an die Zeit glaubt, läuft diese dann trotzdem weiter? Tag für Tag sitzt er so in der Küche seiner Wohnung und hat sich ganz aus dem gesellschaftlichen Leben verabschiedet. Knapp hat er noch mitbekommen, dass seine Unihockeymannschaft einen Samstagsausflug ins Tessin erfolgreich gestalten konnte. Anders als früher, ruft dies bei ihm heute aber keine Glücksgefühle mehr hervor. Ob er sich eine Rückkehr in die Gesellschaft vorstellen kann? Hast du dir denn schon einmal die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest gestellt?

 

Da hängt er nun am Nagel, der blaue Mantel.

 

 

SU Mendrisiotto – Ad Astra Sarnen 6:9 (4:3, 1:2, 1:4)

Palestra Liceo Cantonale, Mendrisiotto. 80 Zuschauer. SR Koller/Koller.

Tore: 15. Mendrisio 1:0. 16. Mendrisio 2:0. 16. M. Odermatt (B. von Rotz) 2:1. 17. Mendrisio 3:1. 17. Mendrisio 4:1. 18. R. von Wyl (R. Flühler) 4:2. 20. T. Lustenberger (R. Arregger) 4:3. 21. Mendrisio 5:3. 28. L. Abächerli (G. Amstutz) 5:4. 35. B. von Rotz (M. Furrer). 5:5. 42. B. von Rotz (M. Odermatt) 5:6. 44. M. Furrer (R. Durrer) 5:7. 56. Mendrisio 6:7. 57. B. von Rotz (M. Odermatt) 6:8. 59. G. Amstutz (B. von Rotz) 6:9.

Strafen: 3mal 2 Minuten gegen Mendrisio. 2mal 2 Minuten gegen Sarnen.

Sarnen: M. Bucheli; R. Arregger, L. Abächerli, J. Wintsch, R. Durrer, T. Lengen, M. Schäli; F. Barmettler, M. Furrer, R. von Wyl; G. Amstutz, B. von Rotz, T. Lustenberger, M. Odermatt, R. Christen, R. Flühler

Mendrisio: